Lernen sichtbar machen – Motivierende Leistungsbeurteilung in der Grundschule
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Zitationsvorschlag: Spear, J., Schulz, T., Steinmayr, R., Uysal, G., & Vogel, S. (2025). Lernen sichtbar machen: Motivierende Leistungsbeurteilung in der Grundschule. (InfoTEXT aus KONTEXT Grundschule, 4). DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. https://doi.org/10.25657/02:34227
Worum geht es?
Die Leistungsbeurteilung von Schüler*innen ist ein wichtiger Teil des Schulalltags. Sie macht nicht nur Lernprozesse sichtbar, sondern erfüllt auch verschiedene andere pädagogische und gesellschaftliche Aufgaben, beispielsweise die Stärkung der Motivation von Schüler*innen oder die Feststellung des Leistungsstandes eines Kindes.1,2 Solch eine Leistungsbeurteilung kann sowohl lernbegleitend oder am Ende des Lernprozesses zusammenfassend, beispielsweise in Form von schriftlichen Leistungsnachweisen erfolgen.3 Dabei stellt sich für Lehrkräfte oftmals die Frage, wie die Leistung auf motivierende Weise an die Schüler*innen rückgemeldet werden kann – insbesondere bei verbesserungswürdigen Leistungen.
Generell kann Leistung in Bezug auf verschiedene Standards beurteilt werden, die sogenannte Bezugsnorm.4 Bei einer sozialen Bezugsnorm werden beispielsweise Schüler- *innen mit anderen Schüler*innen verglichen, während bei einer individuellen Bezugsnorm der Vergleich mit einer früheren Leistung des Schülers oder der Schülerin herangezogen wird.5 Dagegen wird bei einer kriterienorientierten Bezugsnorm die Leistung mit einem vorher festgelegten Standard verglichen, beispielsweise einer Mindestpunktzahl als definierte Bestehensgrenze.5 Wie diese Bezugsnormen, neben anderen Faktoren, in die Praxis der Leistungsbeurteilung und -rückmeldung einfließen, um die Motivation zu fördern, wird im folgenden Beitrag dargestellt. Denn motivierendes Feedback ist essenziell, um Kinder in ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen und zu fördern.
Was sagt die Forschung?
Positive Rückmeldungen werden generell als motivierend erlebt. Bei negativen Leistungsbeurteilungen sollten einige Aspekte beachtet werden, damit Demotivation vermieden oder sogar eine motivationssteigernde Wirkung erzielt wird.6 So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Grundschulkinder besonders motiviert sind, wenn für negative Leistungsbeurteilungen ihre individuelle Entwicklung oder der Vergleich mit einem festen Kriterium herangezogen wird – nicht aber ein sozialer Vergleich mit anderen Kindern, der eher als demotivierend erlebt wird.7,8
Gleichzeitig sollte eine schlechte Leistung nicht als unveränderbare Tatsache dargestellt werden, beispielsweise als Resultat begrenzter Fähigkeiten. Viel eher sollte eine schwache Leistung auf veränderbare Faktoren zurückgeführt werden, die Schüler*innen selbst beeinflussen können, wie z.B. Anstrengung. 9 Dadurch bleibt die Autonomie und die Selbstwirksamkeit der Kinder erhalten.10 Um weiter die Handlungsfähigkeit der Schüler*innen zu stärken, ist es wichtig, ihnen mögliche nächste Schritte aufzuzeigen: je mehr konstruktive Anregungen und Informationen zu Verbesserungsmöglichkeiten gegeben werden, desto motivierender wirkt eine Leistungsbeurteilung – auch wenn sie im Gesamten schlecht ausfällt.10,11
Unter Berücksichtigung dieser Merkmale kann eine solche ausführliche Rückmeldung beispielsweise in Form von Kommentaren geschehen, wobei deren motivierende Wirkung auch bei gleichzeitig zurückgemeldeter schlechter Note nicht reduziert wird.12 Als eine weitere Form der ausführlichen Leistungsbeurteilung gelten Lernentwicklungsgespräche, die generell als motivierend von Grundschüler*innen erlebt werden.13 Neben einer lernunterstützenden Rückmeldung erwies sich vor allem das Setzen realistischer Ziele als besonders motivationsfördernd.13
Eine umfassende Metaanalyse von Fong et al. (2019) liefert ergänzende Befunde unter Berücksichtigung von 78 experimentellen Studien. Eine zentrale Erkenntnis bestand darin, dass das Ausbleiben von Rückmeldung die Motivation sogar stärker beeinträchtigt als eine negative Leistungsrückmeldung. Dabei sollte allerdings eine soziale Bezugsnorm vermieden werden. Zusätzlich konnten einige Aspekte identifiziert werden, wie negative Rückmeldung sogar motivationssteigernd wirken kann:

Dabei sollte eine negative Leistungsbeurteilung nicht an eine versprochene Belohnung bei einer zukünftig besseren Leistung geknüpft werden. Dadurch wird nicht die Motivation zur Leistungsverbesserung an sich verändert, sondern die Kinder orientieren sich vielmehr nur an der Belohnung als an der Lernaufgabe.9
Heterogenität im Fokus
Soziale Bezugsnormen in Leistungsbeurteilungen beeinträchtigen insbesondere die Motivation leistungsschwächerer Schüler- *innen, da sie trotz eigener Verbesserungen kontinuierlich negative Rückmeldungen erfahren.14
Digitales zum Thema
bildung.digital bietet eine Übersicht über digitale Tools und Möglichkeiten zur Erleichterung der individualisierten Leistungsrückmeldung. Dabei sollte aber immer bedacht werden, dass digitales Feedback unpersönlicher ist und daher kein Vier-Augen-Gespräch ersetzen sollte.

Was bedeutet das für mich als Lehrkraft und was kann ich tun?
Formatives Feedback in der Grundschule gibt den Schüler*innen regelmäßig Rückmeldung zu ihrem Lernfortschritt, zeigt auf, was bereits gut gelingt, und macht mit konkreten, motivierenden Hinweisen sichtbar, woran sie noch arbeiten können, sowohl in kurzen Mentoring-Gesprächen als auch direkt unter schriftlichen Leistungsnachweisen.15
Mentoring-Gespräche sind eine Möglichkeit, Schüler*innen in der Grundschule regelmäßig Rückmeldung zu ihrer Leistung zu geben. Sie ermöglichen es den Lehrkräften, Fortschritte für die Schüler*innen sichtbar zu machen, konkrete Verbesserungsschritte aufzuzeigen und gleichzeitig die Kinder zu motivieren. Wird diese Form der Rückmeldung regelmäßig und strukturiert durchgeführt, kann sie zur Routine werden, sowohl für die Kinder als auch für die Lehrkraft.
In der Praxis können diese Gespräche während der Stillarbeitsphase stattfinden. So werden die Schüler*innen einzeln aus der Arbeitsphase herausgeholt, wodurch sie in einer ruhigen Atmosphäre individuell betreut werden können. Die Gespräche dauern nur wenige Minuten und wiederholen sich regelmäßig, zum Beispiel wöchentlich. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass jedes Kind kontinuierlich Rückmeldung erhält, ohne den Unterricht zu stark zu unterbrechen.
Zunächst erfolgt ein kurzer Check-in. Das Kind wird begrüßt und nach dem Befinden gefragt. Anschließend wird die Entwicklung sichtbar gemacht. Hier sollte insbesondere mit früheren Leistungen oder Beobachtungen verglichen werden. Danach werden positive Aspekte hervorgehoben, sodass das Kind seine Stärken erkennt. Im nächsten Schritt werden konkrete Verbesserungspunkte besprochen, die realistisch und umsetzbar sind. Den Abschluss bildet ein Ausblick, der das Kind ermutigt, weiter an seinen Fähigkeiten zu arbeiten.
Zur Unterstützung der Lehrkraft können Textbausteine vorbereitet werden, die individuell kombiniert werden.
Beispiele sind:
„Du hast dich seit der letzten Arbeit schon deutlich verbessert, besonders beim …“
„Ich habe beobachtet, dass Du bei … Schwierigkeiten hattest, das solltest Du noch üben”
„Beim nächsten Mal achte noch auf … . Dann gelingt dir das in Zukunft besser.“
Zusätzlich kann eine Eintragungstabelle oder ein Portfolio genutzt werden, in dem Fortschritte, Lernziele, positives Feedback und nächste Schritte dokumentiert werden. So entsteht nicht nur Transparenz, sondern auch Motivation, da die Kinder ihre eigenen Fortschritte erkennen und vergleichen können.
Durch diese regelmäßigen Mentoring-Gespräche entsteht eine verlässliche Routine. Die Kinder wissen, was sie erwarten können, und die Lehrkraft spart Zeit, da die vorbereiteten Textbausteine die Rückmeldungen entlastend machen.
(Gülcin Uysal, Grundschullehrerin)
„AUF DER SUCHE NACH MEINEN SCHÄTZEN“: RESSOURCENORIENTIERUNG IN LERNENTWICKLUNGSGESPRÄCHEN
Vieles, was Kinder zum Lernen brauchen, steckt bereits in ihnen. Lernentwicklungsgespräche als Ergänzung oder Ersatz für Zeugnisse sind eine optimale Möglichkeit, Kindern Raum zu geben, um sie ihre inneren Schätze entdecken zu lassen. Eine (vorherige) Selbsteinschätzung durch die Kinder selbst lenkt den Fokus weg von äußerer Bewertung zu Selbstreflexion und bringt Kinder in ihre Verantwortung. Wer die Gelegenheit bekommt, sich selbst zu sehen, erfährt, was er/sie gut kann und kann so herausfinden, was noch entwickelt werden darf. Außerdem werden Kinder dadurch auch offener für Feedback und gemeinsame Zielvereinbarungen.
Im Mittelpunkt steht also die wertschätzende Wahrnehmung von Stärken und Potenzialen. Vor allem für das Selbstbild und die Motivation von leistungsschwächeren Schüler*innen ist die Ressourcenorientierung in der Leistungsbeurteilung sehr wichtig, da sie ihre Leistungen immer wieder als unzureichend erleben.
GESPRÄCHSABLAUF
Eine Schatzkiste, gefüllt mit symbolischen Gegenständen wie Muscheln, Murmeln und edlen Steinen, stellt den Rahmen dar. Dem Kind wird erklärt, dass die Schätze seine Stärken sind.
In einem gemeinsamen Gespräch mit dem Kind und den Eltern findet das Kind durch Impulsfragen der Lehrkraft seine bereits sichtbaren Schätze heraus und formuliert Ziele und Lernwege, um manche noch verborgenen Schätze zukünftig auszugraben oder zu aktivieren. Hierbei werden der aktuelle Entwicklungsstand und die Ziele im Arbeits- und Sozialverhalten sowie in den einzelnen Fächern dokumentiert. Hierbei werden der aktuelle Entwicklungsstand und die Ziele im Arbeits- und Sozialverhalten sowie in den einzelnen Fächern dokumentiert.
BEISPIELE IMPULSFRAGEN:
Entdecken der “Schätze”
- Womit beschäftigst du dich besonders gerne?
- Was kannst du in … (einzelne Fächer) richtig gut?
- Worauf bist du stolz?
Deine Lernziele
- Was möchtest du noch entdecken/ausprobieren/lernen?
- Was möchtest du in ein paar Wochen können?
- Was fällt dir noch schwer?
Deine Lernwege
- Was brauchst du, um dein Ziel zu erreichen?
- Wie kannst du dir selbst helfen?
- Wer oder was kann dich noch unterstützen?
Hierbei ist es wichtig, Kindern zu kommunizieren, dass sie nicht in jedem Fach gleich leistungsstark sein müssen. Am Ende darf sich das Kind einen Gegenstand aus der Kiste mitnehmen, als Erinnerung an die eigenen Ressourcen. Gerade in Zeiten, in denen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stärken ins Wanken gerät, kann es helfen, den Schatz aus der Hosentasche zu ziehen, und sich zu erinnern.
Haltung & Leistungsrückmeldung
Erfahrungen aus der Praxis zeigen auch, dass die grundsätzliche pädagogische Haltung bei der Leistungsrückmeldung entscheidend ist. Diese sollte gekennzeichnet sein durch:
- Vertrauen: Kinder entwickeln sich individuell und erbringen Leistung
- Geduld: Kinder bilden Fähigkeiten aus - in ihrem Tempo, auf ihre Weise
- Growth Mindset: Im Fokus liegt das, was wachsen kann, nicht die Defizite.
- Transparenz & Realisierbarkeit: Zielvereinbarungen & Lernwege sind für Kinder verständlich und realistisch.
Wenn wir außerdem Lerninhalte weniger als strikte Maßgaben, sondern als Orientierung für individuelles Lernen sehen, schaffen wir eine Haltung, die Kinder und ihre Entfaltung in den Fokus rückt. Leistungsbeurteilung fällt dann auf einen anderen Boden und kann individuell begleiten, motivieren, eine Richtung geben und die Eigenverantwortung von Kindern fördern.
(Tabea Schulz, Grundschullehrerin)
Zusatzmaterial
Dokumentationsbögen für Lernentwicklungsgespräche in der Grundschule (Bayern)
Fazit
Die Rückmeldung verbesserungswürdiger Leistungen ist im Schulalltag unvermeidlich. Es gibt Wege, diese Rückmeldungen so zu gestalten, dass sie auch leistungsschwache Schüler*innen motivieren. Das Aufzeigen der individuellen Entwicklung mit einer Orientierung an persönlichen Stärken und konkrete Verbesserungsmöglichkeiten trägt dazu bei.
Autor*innen
Dieser InfoTEXT ist eine Wissenssammlung, der die Expertisen aus Forschung und Praxis vereint, indem er in mehreren Schritten von Grundschullehrkräften und Bildungswissenschaftler*innen kokonstruktiv ausgehandelt wurde.
In KONTEXT Grundschule entstehen weitere solcher InfoTEXTe, die auf einer vom BMBFSFJ geförderten Clearinghouse-Webseite im Rahmen des bundesweiten lernen:digital-Verbundprojektes veröffentlicht werden.


Literatur
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